Neue ESZ Prüfungspraxis des IGE
Das IGE hat seine ESZ Prüfungspraxis entsprechend dem Bundesgerichtsurteil 4A.576/2017 – Teno fovir (siehe LES Newsletter 2-18) rückwirkend auf den 11. Juni 2018 angepasst. Es gilt nun zu prüfen, ob die Wirkstoffe im Basispatent derart beansprucht werden, dass sie entweder (a.) in den Patentansprüchen «benannt» sind; oder (b.) «sich die Patentansprüche – im Lichte der Beschreibung ausgelegt – zumindest stillschweigend, aber notwendigerweise auf diese Wirkstoffe beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise.» Der erstgenannte Fall (a.) betrifft die explizite Nennung und dürfte in der Praxis kaum Probleme verursachen. Der zweite Fall (b.) ist wörtlich der amtlichen Übersetzung des EuGH Urteils in der Sache C-493/12 – Eli Lilly entnommen, und die praktischen Probleme treten regelmässig bei derartigen impliziten Offenbarungen auf. Die Rechtsprechung des EuGH darf man diesbezüglich insgesamt wohl zumindest als nicht einfach durchdringbar bezeichnen.
Die neue Prüfungspraxis gemäss des Medeva et al. Ansatzes ist mittlerweile in den Richtlinien für die Sachprüfung des IGE in Kapitel 13.2.1 dargelegt, ergänzt mit imaginären Fallbeispielen als Interpretationshilfe. Für das Verständnis sehr hilfreich sind dabei die Grenzfälle.
Lautet der ESZ Antrag bspw. auf einer Kombination von A + B, wobei B lediglich Teil einer langen Liste oder einer von mehreren Listen von Einzelwirkstoffen oder Stoffgruppen im Basispatent ist, so wird sich die Prüfungspraxis an der bestehen-den Praxis zur Offenbarung von spezifischen Aus-führungsformen in Fällen mit grosser Zahl von Alternativen orientieren: «Je unspezifischer / länger die Listen und je grösser die Anzahl der Listen für die Einzelwirkstoffe und Stoffgruppen sind, desto fraglicher ist die Erteilung eines ESZ.» In den Richtlinien ist explizit davon abgesehen worden, eine allgemein-gültige Lösung für solche Fälle vorzugeben, sodass die Gerichte weiterhin gefordert sein dürften.
Andererseits kann gemäss den Fallbeispielen grundsätzlich ein ESZ auf eine Kombination von A + B erteilt werden, falls B Teil einer in der Kombination beanspruchten Wirkstoffgruppe ist, die eine gemeinsame Struktur oder ein gemeinsames wesentliches Strukturelement oder funktionelles Element hat (z.B. «Antibiotika aus der Gruppe der Beta-Lactame»). Die Prüfungsrichtlinien halten fest: «Der Fachmann erkennt, dass B implizit in den Ansprüchen des Grundpatents enthalten ist.» Augenscheinlich sehen die Richtlinien in einem solchen Fall auch das «in spezifischer Art und Weise»-Erfordernis des Bundesgerichts als erfüllt an (obschon bspw. das Kriterium einer «unmittelbaren und eindeutigen» Offenbarung gemäss EPA-Praxis zumindest nicht ohne Weiteres erfüllt wäre).
In den Prüfungsrichtlinien ist erwähnt, dass die neuen Grundsätze in der jeweiligen Einzelfallprüfung so anzuwenden seien, dass sie «sinngemäss der Rechtsprechung des EuGH folgen, wie sie in den Entscheiden zu Artikel 3 lit. A der EG Verordnung Nr. 469/2009 festgehalten ist.» Zudem wurde den Verbänden mitgeteilt, es werde alsbald eine Konsultation zur Umsetzung des Actavis et al. Ansatzes des EuGH (der auf den «core inventive advance» abstellt) erfolgen.
Eine pauschale und ggf. dynamische Übernahme jeglicher Rechtsprechung des EuGH zu diesem Thema mag pragmatisch erscheinen, sie ist so je-doch dem Bundesgerichtsurteil Tenofovir zumindest nicht explizit zu entnehmen. Auch dieser Themenkomplex dürfte die Gerichte somit weiterhin beschäftigen.