Integrität, Transparenz und Weitergabepflicht im Heilmittelvertrieb: Regeln der neuen VITH und der revidierten KVV zu geldwerten Vorteilen in Kraft gesetzt
Geldwerte Vorteile im Gesundheitswesen sind seit jeher ein kontrovers diskutiertes Thema. Die Medien haben in den letzten Wochen mehrfach darüber berichtet, etwa dass die Pharmaindustrie in der Schweiz jedes Jahr insgesamt über 100 Mio. CHF an die ansässigen Leistungserbringer zahlt. Wer erfahren möchte, wie hoch die jährlichen Zuwendungen an seinen Arzt, seine Apothekerin oder sein Spital ausfallen, kann diese Informationen neuerdings in einer Online-Datenbank eines Research Networks (https://www.pharmagelder.ch) ermitteln.
Trotz diverser behördlicher und höchstgerichtlicher Entscheide war bislang für bestimmte Fallkonstellationen des Arzneimittelvertriebs unklar, wann die Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Grossisten einerseits und den Leistungserbringern andererseits die Grenze des rechtlich Zulässigen überschreitet. Kooperationen im Medizinproduktebereich sahen sich indes nicht vom sog. «heilmittelrechtlichen Vorteilsverbot» tangiert.
Die Materie wird nun detaillierter geregelt – und betrifft künftig teilweise auch den Vertrieb von Medizinprodukten. Der Bundesrat hat am 10. April 2019 die neue Verordnung über die Integrität und Transparenz im Heilmittelbereich (VITH) und die geänderte Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) verabschiedet. Das Parlament hatte hierzu schon im Jahre 2016 mit der Teilrevision des Heilmittelgesetzes (revHMG) und des Krankenversicherungsgesetzes (revKVG) die gesetzlichen Grundlagen gelegt und die Bestimmungen zu den geldwerten Vorteilen und zur Weitergabepflicht neu geregelt.
Die zwei neuen Artikel zur Integrität und Transparenz im Heilmittelbereich (Art. 55 und 56 revHMG) lösen die alte Vorschrift über das Versprechen und Annehmen geldwerter Vorteile (Art. 33 altHMG) ab. Und die ergänzte Vorschrift über die Wirtschaftlichkeit der Leistungen mildert die Pflicht zur Weitergabe dieser Vorteile (Art. 56 Art. 3bis revKVG). Diese Regelungen in HMG und VITH sowie in KVG und KVV werden als Gesamtpaket am 1. Januar 2020 in Kraft treten. Die entsprechen-de Strafbestimmung wurde bereits zum 1. Januar 2019 angepasst (Art. 87 revHMG).
Die neu eingeführte VITH regelt die Details zu den revidierten gesetzlichen Vorschriften über Integrität und Transparenz im Arzneimittel- und Medizinproduktebereich. Die Integritätspflicht hält fest, dass das Verschreiben, Abgeben und Anwenden von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht durch finanzielle Anreize beeinflusst werden dürfen. Nach dem Transparenzgebot müssen gewährte oder erhaltene Preisrabatte und Rückvergütungen für alle Heilmittel ausgewiesen und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf Verlangen offengelegt werden. Die neue Verordnung äussert sich u.a. dazu, welche Ausnahmen für die Integrations- und Transparenzvorgaben gelten.
Die revidierte KVV beinhaltet die künftigen Modalitäten zur Weitergabe bzw. Verwendung von Vergünstigungen durch Leistungserbringer. Die im KVG verankerte Weitergabepflicht wird abgeschwächt. Sie gilt zwar weiterhin sowohl im Zusammenhang mit kassenpflichtigen Arzneimitteln der Spezialitätenliste (SL) als auch mit kassenpflichtigen Medizinprodukten der Mittel- und Gegenstände-Liste (MiGeL). Die Leistungserbringer müssen neu aber nicht mehr die gesamten Vergünstigungen an die Patienten bzw. Versicherer weiterleiten, sondern können einen Teil zur Verbesserung der Qualität der Behandlung einsetzen. Der nicht weitergegebene Anteil muss nachweislich zur Verbesserung der Behandlungsqualität eingesetzt werden. Die Vereinbarungen zwischen Leistungserbringer und Versicherer sind dem BAG auf dessen Verlangen offenzulegen.
Die wichtigsten Gesetzesänderungen, die auch den Medizinproduktevertrieb betreffen, auf einen Blick:
Alle Preisrabatte und Rückvergütungen – nicht nur für verschreibungspflichtige Arzneimittel, sondern auch für rezeptfreie Medikamente und Medizinprodukte – sind künftig vom Verkäufer und vom Käufer in Belegen, Rechnungen und Geschäftsbüchern auszuweisen und den zuständigen Behörden auf Verlangen vorzulegen.
Vereinbarungen über nicht weiterzugebende Vergünstigungen im SL-/MiGeL-Bereich sollen die Versicherungen vor allem mit Verbänden und Gruppierungen abschliessen, nicht mit individuellen Leistungserbringern. Die Vereinbarung muss die Art und den Umfang der Vergünstigung sowie die Verwendung des nicht weitergebenen Anteils klar regeln.
Bei Verstössen gegen die gesetzlichen Vorgaben können neben verwaltungsrechtlichen Mass-nahmen neu erhöhte strafrechtliche Sanktionen ergehen. Die Strafen reichen von Bussen bis 20’000 CHF (fahrlässige Zuwiderhandlung) über Bussen bis 50’000 CHF (vorsätzlicher Verstoss) bis hin zu Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen (gewerbsmässiges Handeln).