13. mai 2019

Durchsetzung der «Swissness»-Regel im Ausland: Interview mit Felix Addor und David Stärkle, IGE

Seit Anfang 2017 sieht die Schweizer Gesetzgebung einheitliche Kriterien zu Herkunftsangaben von Waren und Dienstleistungen aus der Schweiz vor. Diese «Swissness»-Regeln verschaffen dem Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) neue Möglichkeiten, missbräuchliche Verwendungen der Bezeichnung «Schweiz» und des Schweizerkreuzes im In- und Ausland zu verhindern und einzudämmen.

Wir sprachen am 2. Mai 2019 mit Felix Addor (Prof. Dr. iur., Fürsprecher, Stv. Direktor, Rechtskonsulent und Leiter der Abteilung Recht & Internationales beim IGE) und David Stärkle (Rechtsanwalt in der Abteilung Allgemeines Recht, Design und Rechtsdurchsetzung beim IGE) über die Erfolge und Herausforderungen bei der Durchsetzung der «Swissness»-Gesetzgebung im Ausland.

Herr Addor, Sie haben durch Ihre Arbeit beim IGE massgeblich zur Durchsetzung der «Swissness»- Regel in China beigetragen. Können Sie uns dazu berichten?

Addor: Wir führen mit China seit über zehn Jahren einen IP-Dialog, in welchem wir auch thema-tisieren, wie interessierte Schweizer Unternehmen gegen «Swissness»-Missbräuche in China vorgehen können. Unser Beitrag ist es, für Schweizer Unter-nehmen Rechtsvorhersehbarkeit zu schaffen. Die chinesischen Behörden haben immer gefordert, dass die Schweiz zuerst eigene Rechtsgrundlagen schaffen müsse, bevor auch in China gegen «Swissness»-Missbräuche vorgegangen werden könne.

Auch wenn die «Swissness»-Regeln für China nicht verbindlich sind, erging bereits kurz nach dem Beschluss des Bundesrates im September 2015, wonach die «Swissness»-Regeln auf den 1. Januar 2017 in Kraft treten sollen, der erste Entscheid vom Chinese Trade Mark Office CTMO (neu CNIPA: Chinese National Intellectual Property Administration) zur Abweisung eines Markeneintragungsgesuchs auf eine Intervention des IGE hin.

Wir können in China Einsprache gegen eine Markenanmeldung vornehmen. Wir haben bisher rund 400 Einsprachen vorgenommen. 100 davon haben wir gewonnen. Bei 23 sind wird noch am Verhandeln. Die übrigen Fälle sind noch hängig.

Mittlerweile weist das chinesische Markenamt ohne unser Einverständnis Markenanmeldungen konsequent ab, die Hinweise auf die Schweiz beinhalten, z.B. «Swiss» oder das Schweizer Kreuz. Dies ist das Ergebnis des IP-Dialogs und für uns ein grosser Meilenstein.

Wie setzen die chinesischen Behörden die «Swissness» in China konkret durch? Und was hat sich seit der «Swissness»-Revision für das IGE bei der Durchsetzung im Ausland, insbesondere China, geändert?

Addor: Egal ob es sich um ein schweizerisches, indisches oder chinesisches Unternehmen handelt: Das chinesische Markenamt weist Markenanmeldungen zurück, wenn diese Schweizer Herkunfts-angaben enthalten. Innerhalb von zwei Wochen muss der Anmelder eine Zustimmungserklärung der Schweiz einholen, um sicherzustellen, dass die blockierte Markenanmeldung weiter geprüft und allenfalls eingetragen wird. Dazu kann der Anmelder mit dem IGE einen Vertrag (Undertaking Agreement) abschliessen, der die Zustimmung des IGE von der Erfüllung der «Swissness»-Regeln in China abhängig macht. Im Verletzungsfall fällt diese Zustimmung dahin.

In solchen und anderen Fällen von die Konsumenten täuschenden «Swiss-fake»-Produkten haben wir die Möglichkeit, betroffene Produkte durch die örtliche Polizei einziehen zu lassen und können den Fall in den Medien publizieren. Bis jetzt hatten wir zwei Fälle in einer chinesischen Provinz, bei denen der Vertrag verletzt und die lokale Polizei tätig wurde.

Stärkle: Das chinesische Markenamt muss Marken mit dem Schweizer Kreuz oder einem damit verwechselbaren Zeichen aufgrund der PVÜ (Pariser Übereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums) ablehnen. Ausserdem sieht das chinesische Markenschutzgesetz vor, dass Marken, welche gleich oder ähnlich wie der Name eines fremden Staates lauten, ohne Zustimmung dieses Staates nicht registriert werden dürfen. Seit 2017 hat sich die Umsetzung stark verbessert, was vermutlich dem Dialog zuzuschreiben ist. Damit sinkt auch die Anzahl notwendiger Interventionen des IGE. Die vertragliche Regelung zwischen IGE und Anmelder hat auch praktische Überlegungen: Das IGE erfährt, wer in China über eine Marke mit Schweizer Herkunftsangabe verfügt und wie diese verwendet wird. Dies ist umso wichtiger, als China die in der Schweiz gebräuchliche Einschränkung der Waren- und Dienstleistungsliste auf Schweizer Herkunft nicht vorsieht bzw. erlaubt.

Addor: In vielen PVÜ-Mitgliedsstaaten werden die Anspruchsgrundlagen ohne Intervention seitens des betroffenen Staates nicht vollstreckt. Es braucht die Durchsetzung seitens des Staates.

Stärkle: Dank den Interventionen des IGE während der vergangenen Jahre ist China sensibilisiert und lehnt mittlerweile auch Zeichen ab, die einer Schweizer Herkunftsangabe bloss ähnlich sind, zum Beispiel wenn statt «Swiss», «Svizz» oder Ähnliches geschrieben wird.

Worauf ist diese strenge Praxis von China zurückzuführen?

Addor: Einerseits auf das chinesische Markenschutzgesetz: Dieses sieht vor, dass die lokale Polizei (AIC; local administration for industry and commerce) gegen den Gebrauch von Kennzeichen einschreiten, welche Namen, Flagge oder nationalem Emblem eines Staates ähnlich sind, sofern der entsprechende Staat diesem Gebrauch nicht zu-stimmte. Andererseits vermute ich, China möchte damit auch den Ruf von «made in China» verbessern. Die chinesische Regierung hat nämlich ein Interesse daran, dass chinesische Produkte international nicht mehr als Billigware gelten. Sie lernen womöglich von der Schweiz, was der Schutz einer Herkunftsangabe bedingt und bewirken kann.

Wie agiert das IGE in China vor Ort?

Addor: Wir haben eine sehr enge und gute Zusammenarbeit mit der schweizerischen Botschaft und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). Die Schweizerische Botschaft in China erteilt Unternehmen in China, die eine Beanstandung erhalten haben, Auskunft und verweist diese für die Einholung der nötigen Zustimmungserklärung an das IGE.

Stärkle: In Absprache mit der Schweizer Botschaft mandatiert das IGE für Einsprachen lokale Anwälte. Dies funktioniert sehr gut.

Können Schweizer Unternehmer mit Blick auf ihren Markteintritt in China vorgängig eine «Zulässigkeitsbestätigung» für die Verwendung einer Herkunftsangabe «Schweiz» beim IGE einholen?

Stärkle: Das IGE versteht sich als Kompetenzzentrum für alle Fragen rund um die «Swissness». Auch aufgrund der kurzen Frist im Verfahren empfehlen wir, dass die Anmelder frühzeitig zu uns kommen, um bei uns die Zustimmungserklärung (authorization) einzuholen. Sobald das IGE den hier-für nötigen Vertrag (Undertaking Agreement) unter-schrieben erhält, können alle verlangten Dokumente bei der Markenanmeldung beigelegt werden.

Wie wird sich die Praxis des IGE zur Durchsetzung im Ausland in naher Zukunft weiterentwickeln? Welche Länder sind für das IGE zur internationalen Durchsetzung der «Swissness» zentral?

Addor: Wir haben im Ausland keine allgemeine rechtliche Grundlage zur Durchsetzung der «Swissness»-Gesetzgebung. Daher fokussieren wir  auf ausgewählte Länder. Seit der Neureglung der «Swissness»-Anforderungen sind zu China, Hong Kong, Indien und Argentinien noch die USA, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien, die drei wichtigsten Absatzmärkte in Europa für die Schweiz, zur Liste dazugekommen. Seit zwei Jahren arbeiten wir auch mit dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) zusammen.

Stärkle: Wir versuchen, Undertaking Agreements zu etablieren, die darauf abzielen, Markenanmelder zur Einhaltung der «Swissness»-Regeln zu bewegen. Die Möglichkeiten sind im jeweiligen nationalen Recht jedoch sehr unterschiedlich: In einigen Ländern (z.B. China) sind Einschränkungen auf eine bestimmte Herkunft der Waren und Dienstleistungen nicht möglich. In gewissen Ländern kann jede Drittpartei in einem Anmeldeverfahren intervenieren (z.B. Indien), in anderen nur, wer selbst Markeninhaber ist (z.B. Deutschland). Daher nutzen wir auch andere Wege, z.B. über die lokale Botschaft und mit lokalen Anwälten. In Indien haben wir beispielsweise ähnlich viele Fälle wie in China, aber aufgrund der Dauer der Verfahren konnten wir noch keinen Fall abschliessen.

Ist für dieses Problem eine konkrete Massnahme, wie ein IP-Dialog analog China, geplant?

Addor: Auch mit den indischen Behörden haben wir bereits Gespräche geführt. Die lokalen Verfahrensabläufe können wir jedoch nicht beeinflussen. Umso wichtiger ist es, bekannt zu machen, dass Einsprachen erfolgen, sobald Marken mit dem Element «Schweiz» angemeldet werden. Die Blockierung solcher Anmeldungen hat gemeinhin eine abschreckende Wirkung. Ausserdem führt sie im Ergebnis dazu, dass die entsprechende Marke nicht erteilt werden kann.

Wie priorisiert das IGE die Länder und Märkte, wo interveniert werden soll?

Addor: Einerseits priorisieren wir bedeutende Märkte für die Schweizer Exportwirtschaft. Andererseits berücksichtigen wir Fallmeldungen von Schweizer Botschaften oder Branchenverbänden. Neu wollen wir auch die Markenregister von Kanada und der Türkei überwachen. Kanada wurde uns als Problemland gemeldet. Darüber war ich selbst erstaunt.

Worin sehen Sie die Gründe, dass Kanada zum Problemland wurde?

Stärkle: Ursächlich sind wohl einerseits die Grösse des Marktes, ein starker Absatzmarkt, wo «Swissness»-Produkte und Dienstleistungen auf Grund des guten Rufs der Schweiz entsprechend nachgefragt wird, und andererseits das Fehlen eines griffigen Regelwerks gegen missbräuchliche Herkunftsangaben. Durch unsere Überwachung der Markeneintragungen sammeln wir wichtige Informationen, die wir bei politischen Gesprächen als Grundlage verwenden können.

Addor: Nach der neuen «Swissness»-Gesetzgebung kann das IGE den Schutz von Schweizer Herkunftsangaben durchsetzen. Sobald wir von einem Fall erfahren, prüfen wir, ob interveniert werden soll. Geht es um die Verwendung des Schweizer Kreuzes oder eines anderen Hinweises auf die Schweiz in einer bestimmten Branche, orientieren wir die zuständigen Branchenverbände. Je nach Branche engagieren sich Verbände aktiv für den Schutz des Schweizerkreuzes.

Neben der PVÜ hat die Schweiz mit gewissen Staaten bilaterale Verträge zum Schutz von Ursprungsbezeichnungen und geografischen Herkunftsbezeichnungen. Neu sehen wir in solchen Abkommen vor, auch das Schweizer Wappen, das Schweizerkreuz und die Bezeichnung «Schweiz» zu schützen. Dadurch werden im Idealfall die «Swissness»-Regeln auch im Ausland verbindlich und durchsetzbar. Umgekehrt profitieren aber auch Produkte des Abkommenspartners, die in die Schweiz exportiert werden. Wenn beispielsweise die russische Gesetzgebung vorgibt, dass und wie russischer Kaviar geschützt ist, wird dies hier entsprechend gehandhabt. Dies ist ein Mehrwert für beide Vertragsparteien. Mit diesen Abkommen ist es einfacher, auch ohne Intervention des IGE, den «Swissness»-Regeln auch im Ausland Nachachtung zu verschaffen.

Inwieweit spielt bei der Durchsetzung der «Swissness» im Ausland die Zusammenarbeit zwischen dem IGE und Privaten eine Rolle?

Addor: Wir stossen an Grenzen, wenn (z.B. wie in Deutschland) keine Interventionsmöglichkeiten bestehen, weil das IGE nicht als Wettbewerbsteilnehmer gilt. Das IGE kann diese Lücken nur mit den Branchen gemeinsam schliessen. Ziel ist es, eine Rechtsform zu finden, die Rechtspersönlichkeit hat, wie etwa eine Public Private Partnership (PPP). Dies könnte ein Verein sein, der eigene Marken schützen lässt und in künftigen Fällen intervenieren kann. Wir sind offen und kreativ für Ideen, die uns bei der Durchsetzung helfen. Mit «uns» meine ich so-wohl das IGE als auch die privaten Akteure. Denn letztlich ist es Aufgabe der Unternehmen, gegen eine Verletzung der «Swissness» in ihrem Marken-namen oder aber gegen «Swissness»-Trittbrettfahrer von Konkurrenten vorzugehen und ihre Rechte im Einzelfall durchzusetzen. Das IGE ist nur, aber immerhin, bestrebt, solche Aktionen der Unter-nehmen erfolgreich zu gestalten. Das tun wir über unsere Dialoge und Abkommen mit Drittstaaten sowie über unsere Markeneintragungseinsprüche. Wir schaffen damit die für Unternehmen nötige Rechtsvorhersehbarkeit. Je länger eine Public Private Partnership von allen Interessierten in der Schweiz auf sich warten lässt, desto mehr missbräuchliche Verwendungen der Herkunftsangabe «Schweiz» existieren auf dem Markt.

Am 01.01.2019 ist die Lageraufbrauchsfrist abgelaufen für Waren, die unter altem Recht hergestellt wurden und korrekterweise eine Schweizer Herkunftsangabe tragen, unter neuem Recht jedoch nicht mehr als Schweizer Produkt beworben werden dürfen. Vor 2019 hat das IGE Hersteller abgemahnt und eine einvernehmliche Lösung gesucht, wenn es unzulässige Herkunftsangaben vermutete. Wird das IGE weiterhin einen solchen «de-eskalierenden» Ansatz verfolgen oder vermehrt direkt Anzeige erstatten, allenfalls sogar Klage einreichen in der Schweiz?

Addor: Wir stellen fest, dass die Umsetzung in der Schweiz dank der klaren Rechtsgrundlagen  bis jetzt sehr zufriedenstellend war. Nach Gesprächen mit den betroffenen Unternehmen finden teils auch Rebrandings statt. Das IGE behält sich jedoch offen, zu klagen oder Anzeige einzureichen, wenn es erforderlich ist. Wichtig ist daher, dass Interventionsmöglichkeiten sowohl zivil-, zoll-, als auch strafrechtlich bestehen.

Stärkle: Unsere Erfahrung zeigt, dass die neue Gesetzgebung seit Inkrafttreten schon auf dem Papier grosse Wirkung zeigt und Fälle in der Praxis in der Regel schnell und sogar innert Jahresfrist erledigt werden können. Langfristig rechnen wir damit, dass Konflikte mit den «Swissness»-Regeln in der Schweiz stark rückläufig sein werden.

Weiterführende Informationen zur «Swissness»- Gesetzgebung:
https://www.ige.ch/de/recht-und-politik/immaterialgueterrecht-national/herkunftsangaben/herkunftsangabe-schweiz/swissness.html