The LES Basel Life Science Series
October 29, 2025 – 6 PM Basel Life Science Series
Infolge der am 18. März 2016 verabschiedeten 2. Etappe der Revision des Heilmittelgesetzes (HMG; SR 812.21) soll Art. 9 Abs. 1 Patentgesetz (PatG; SR 232.14) um zwei neue Ausnahmen zur Wirkung des Patents ergänzt werden, welche den Schutz der medizinischen Behandlungsfreiheit bezwecken. Zudem werden ergänzende Schutzzertifikate für Arzneimittel mit pädiatrischem Prüfkonzept bzw. eine Verlängerungsmöglichkeit bestehender Zertifikate eingeführt. Die neuen Bestimmungen werden voraussichtlich 2019 in Kraft treten.
Schutz der medizinischen Behandlungsfreiheit
Gemäss Art. 9 Abs. 1 Bst. g revPatG erstreckt sich die Wirkung eines Patents nicht auf «Handlungen im Rahmen einer medizinischen Tätigkeit, die sich auf eine einzelne Person oder ein einzelnes Tier bezieht und Arzneimittel betrifft, insbesondere die Verschreibung, Abgabe oder Anwendung von Arzneimitteln durch gesetzlich dazu berechtigte Personen». Dieses sog. «Ärzteprivileg» soll es Ärzten ermöglichen, im Einzelfall Generika zu verschreiben bzw. zu verabreichen oder Dosierungsempfehlungen anzupassen, ohne sich um das Bestehen von Patentschutz kümmern zu müssen. Diese Bestimmung sichert somit die Verschreibungsfreiheit und das Substitutionsrecht der Ärzte («off-label use») auf Einzelfallbasis. Serienmässige Handlungen werden vom Ärzteprivileg nicht erfasst.
Der neue Bst. h sieht ein Apothekerprivileg vor, welches «die unmittelbare Einzelzubereitung von Arzneimitteln in Apotheken in Ausführung einer ärztlichen Verschreibung sowie […] Handlungen, welche die auf diese Weise zubereiteten Arzneimittel betreffen», den Wirkungen des Patents entzieht. Diese Angleichung an die Rechtslage in Deutschland und Frankreich stellt sicher, dass die Zubereitung sog. «Magistralrezepturen», also die ad hoc Einzelzubereitung aus fertigen Wirk- und Hilfsstoffen oder aus verwendungsfertigen Arzneimitteln, ohne Patentverletzungsvorwürfe erfolgen kann. Keine Befreiung erfahren die Zubereitung grösserer Mengen, für mehrere Patienten oder im Auftrag Dritter, die Zubereitung auf Vorrat oder die Herstellung der Wirkstoffe selber.
Hintergrund dieser Änderungen ist die Entscheidung G2/08 der Grossen Beschwerdekammer (GBK) des Europäischen Patentamts vom 19. Februar 2010, welche für neue therapeutische Anwendungen unter dem im Jahr 2000 revidierten Art. 54 Abs. 5 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ; SR 0.232.142.2) einen zweckgebundenen Stoffschutz zuliess. Das Bundesgericht hatte daraufhin in BGE 137 III 170 die Geltung der neuen Anspruchsform auch für hierzulande validierte europäische Patente bestätigt. Während also zuvor nur die Verwendung eines Stoffes zur Herstellung eines Arzneimittels für eine bestimmte Indikation geschützt werden konnte («Swiss-type claims»), richtet sich unter dem EPÜ 2000 der Schutz auf den Stoff als solchen soweit er im Sinne der spezifischen Indikation verwendet wird und ist somit breiter. Damit können auch off-label Verordnungen bzw. die entsprechende Verabreichung patentrechtlich erfasst werden, was die medizinische Behandlungsfreiheit einschränkt, worauf auch das Bundesgericht hinwies: «Sollte in diesem Zusammenhang zum Schutz der ärztlichen Freiheit tatsächlich Handlungsbedarf bestehen, so wäre auf dem Gesetzgebungsweg eine entsprechende Ausnahme von der Wirkung des Patents (vgl. Art. 9 PatG) vorzusehen. Es erscheint daher angebracht, den schweizerischen Gesetzgeber auf die entsprechende Problematik hinzuweisen» (BGE 137 III 170 E. 2.2.12 S. 184). Der Gesetzgeber, beraten durch das IGE und das BAG, beschloss sodann die Ergänzung von Art. 9 PatG um die Ausnahmebestimmungen gemäss den neuen Bst. g und h.
Ergänzende Schutzzertifikate für Kinderarzneimittel
Als Teil der Revision des HMG wurden auch Massnahmen gegen die Versorgungslücke im Bereich der Kinderarzneimittel ergriffen, wozu auch Schutzverlängerungen gehören, welche die Vermarktung kindergerechter Arzneimittel fördern sollen. Das HMG und das PatG werden an den europäischen Standard angepasst, wobei das schweizerische Konzept die europäische Regelung nicht identisch rezipiert.
Im PatG werden neu im 2. Abschnitt des 7. Titels Bestimmungen zur Verlängerung der Dauer der ergänzten Schutzzertifikate (ESZ) bei Arzneimitteln mit einem pädiatrischen Prüfkonzept eingefügt (Art. 140n-140s revPatG). Ein neuer Abschnitt 2a widmet sich zudem pädiatrischen ESZ (Art. 140t-140y revPatG). Die heutige Regelung zu den ESZ bei Pflanzenschutzmitteln wird in einen neuen 3. Abschnitt verschoben (Art. 140z revPatG).
Nach Inkrafttreten dieser Bestimmungen werden Pharma-Unternehmen, die für ihre Arzneimittel in ein pädiatrisches Prüfkonzept investieren, folglich zwei Optionen zur Schutzverlängerung offenstehen: (i) Wer bereits Inhaber eines ESZ ist, kann eine einmalige Schutzverlängerung dieses ESZ um sechs Monate verlangen; (ii) anderenfalls kann der Patentinhaber ein pädiatrisches ESZ mit einer Schutzdauer von sechs Monaten ab Ablauf der Höchstdauer des Patents beantragen. Das Gesuch um Schutzverlängerung eines bestehenden ESZ bzw. um Beantragung eines pädiatrischen ESZ ist spätestens zwei Jahre vor Ablauf des ESZ bzw. des Patents einzureichen, aber nicht später als sechs Monate nach dem Gesuch um die erste Zulassung eines das Erzeugnis enthaltenen Arzneimittels mit einem pädiatrischen Prüfkonzept im EWR. Während einer Übergangsfrist von fünf Jahren nach Inkrafttreten dieser Bestimmungen kann das Gesuch unabhängig vom Datum der EWR-Zulassung spätestens sechs Monate vor Ablauf des ESZ bzw. vor Patentablauf gestellt werden.