Kartellrechtlich begründeter Zugang zu Schnittstelleninformation
Am 29. November 2010 entschied die Wettbewerbskommission (WEKO), dass die SIX Group AG (SIX Group) über eine marktbeherrschende Stellung im Markt für die Akzeptanz von Kartenzahlungen (Acquiring) verfüge, dass sie diese Stellung missbraucht habe und, dass sie für dieses Verhalten im der Höhe von CHF 7.029 Millionen gebüsst wird. Das kritisierte Verhalten betraf die Währungsumrechnung bei einer Zahlung an einem Kartenterminal (sog. Dynamic Currency Conversion; DCC). DCC ermöglicht einem Inhaber einer ausländischen Kredit- oder Debitkarte, den Kaufbetrag in der Lokalwährung oder in seiner vom Terminal erkannten Heimwährung zu bezahlen. Wählt der Karteninhaber seine Heimwährung, so ist für ihn bereits bei der Bezahlung klar, welcher Betrag ihm für diese Transaktion belastet wird.
Die Währungsumrechnung (und die damit verbundenen Gewinne) werden bei einer mittels DCC vorgenommenen Zahlung vom (ausländischen) Kartenherausgeber (Issuer) zum Acquirer verlagert, d.h. zu demjenigen Unternehmen, das dem Händler die Annahme von Kartenzahlungen ermöglicht. Da der Acquirer ein finanzielles Interesse hat, dass der Händler die direkte Währungsumrechnung anbietet, beteiligt er den Händler an den daraus resultierenden Erträgen. Also hat auch der Händler ein finanzielles Interesse, DCC anbieten zu können. Er braucht dafür allerdings ein DCC-fähiges Zahlkartenterminal.
Im Jahr 2005 bot der damals grösste Acquirer in der Schweiz, eine Gruppengesellschaft der heutigen SIX, die DCC-Funktionalität zwar an. Verfügbar gemacht wurde diese Funktionalität allerdings nur auf Zahlkartenterminals, die von einer anderen Gruppengesellschaft der heutigen SIX angeboten wurden. Ein mit dieser Gesellschaft im Wettbewerb stehender Anbieter von Zahlkartenterminals zeigte dieses Verhalten am 20. Juli 2006 beim WEKO-Sekretariat an. Der Anzeiger führte im Wesentlichen aus, dass ihm trotz wiederholter Anfrage der Zugang zur DCC-Funktionalität bzw. zu den erforderlichen Protokollen zur Kommunikation mit dem Verarbeitungssystem der heutigen SIX verweigert worden sei. Er werde also auf unzulässige Art und Weise im Terminalmarkt behindert.
In ihrem Entscheid vom 29. November 2010 folgte die WEKO weitgehend dem Anzeiger und stellte fest, dass die heutige SIX die Tatbestände der Geschäftsverweigerung (Art. 7 Abs. 2 lit. a des Kartellgesetzes; KG), Diskriminierung (lit. b), Einschränkung der technischen Entwicklung (lit. e) und der Koppelung (lit. f) erfüllt habe. In einem mit Spannung erwarteten Urteil (B-831/2011) hat sich am 21. Mai 2019 nun das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) zur Sache geäussert. Aus dem sehr ausführlich (auf über 500 Seiten) begründeten Entscheid sind hier folgende Elemente hervorzu- heben:
- Art. 3 Abs. 2 KG sieht zwar vor, dass Wettbewerbswirkungen, die sich ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben, nicht unter das Kartellgesetz fallen. Übereinstimmend mit der überwiegenden Lehre und Praxis hält das BVGer fest, dass Art. 3 Abs. 2 KG restriktiv auszulegen ist. Diese Bestimmung ziele bloss darauf ab, dass bei der materiellen Prüfung nach Kartellgesetz die Zielsetzungen des Immaterialgüterrechts gewürdigt werden müssen.
- Unter Hinweis auf Art. 21 URG, der die Interoperabilität von Computerprogrammen sicherstellen will, hält das BVGer folgerichtig fest, dass das KG auf Schnittstellen anwendbar sei, selbst wenn sie urheberrechtlich geschützt sind.
- Die Verweigerung von Schnittstelleninformationen zeichne sich gemäss BVGer zudem dadurch aus, dass nicht der Zugang zu einem Primärprodukt, sondern die Möglichkeit der Interoperabilität zu diesem Primärprodukt verweigert wird. Die Anforderungen an den Tatbestand der Geschäftsverweigerung sei daher weniger hoch anzusetzen als bei einer Lizenzverweigerung. Jede Verweigerung des Zugangs zu Schnittstelleninformationen durch ein marktbeherrschendes Unternehmen sei daher als Missbrauch i.S.v. Art. 7 Abs. 2 KG zu würdigen.
Die SIX hat gegen den Entscheid des BVGer Beschwerde beim Bundesgericht erhoben. Da die SIX wohl primär die ausgesprochen lange Verfahrensdauer, die Bussenhöhe und die Verjährung angreifen dürfte, ist anzunehmen, dass die hier angesprochenen Einlassungen des BVGer zu immaterialgüterrechtlichen Fragen rechtsbeständig werden.